Mit Medikamenten ist das immer so eine Sache. Nimmt man zu viel, gewöhnt man sich an ihre Wirkung. Und man muss die Dosis stets erhöhen, um den gleichen Effekt zu erzielen. Das soll jetzt nicht heißen, dass die Welt der Börsen und Aktien krank ist – doch auf Elon Musk und seine Visionen treffen diese Symptome ziemlich genau zu. Je größer die Probleme von Tesla, desto verheißungsvoller und fantastischer werden seine Ankündigungen und Visionen, um die Aktionäre bei Laune zu halten. Ideen gehen dem guten Mann ja wirklich nicht aus, das muss man ihm lassen, und so begab es sich, dass das ehemalige Start-up aus Palo Alto die Studie eines Sattelschleppers vorstellte, der natürlich rein elektrisch unterwegs sein soll. Endlich, nachdem die Präsentation über Monate hinweg mehrmals verschoben werden musste.

Doch jetzt ist es so weit, und die Eckdaten des stromlinienförmigen Kolosses, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Goliath, dem Truck von Michael Knights bösem Bruder Garth hat, klingen fast schon zu gut, um wahr zu sein. 800 Kilometer Reichweite sollen möglich sein. 50 Prozent der Füllung sollen in 30 Minuten an einem Schnelllader aufgetankt werden. Und vier E-Motoren, deren Leistung derzeit noch ein Geheimnis ist, sorgen für einen Sprint von 0 auf 100 km/h in nur fünf Sekunden der Zugmaschine. Mit Auflieger sind es immer noch unter 20 Sekunden. Kein Wunder, dass der Fahrer in der Mitte der Kabine sitzt, wie in einem echten Formel-Rennwagen.

Abgesehen von der Frage der Sinnhaftigkeit dieser Beschleunigung bleibt immer noch die jene übrig, wie Tesla diese Werte bewerkstelligen möchte. Die Carnegie Mellon Universität hat sich dieser Sache angenommen und errechnet, dass dafür Batterien mit 1000 kWh Leistung nötig sein würden, die es auf stattliche acht Tonnen Gewicht bringen. Analysten errechneten zudem, dass allein diese Stromspeicher 100.000 Dollar kosten.

Man muss Elon Musk also Recht geben – theoretisch kann der Semi funktionieren. Doch gerade in der Lkw-Welt zählt Leichtbau mehr als in allen anderen Fahrzeugklassen. Schließlich ist das Gesamtgewicht mit 40 Tonnen gesetzlich begrenzt, und je weniger Gewicht der Sattelschlepper auf die Waage bringt, desto mehr darf transportiert werden. Wie Herr Musk und seine Ingenieure diese Problematik lösen wollen, blieb bei der Präsentation unbeantwortet.

Dennoch: Der Zeitpunkt hätte nicht besser gewählt sein können. Die Qualitätssprobleme des Model X und der immer und immer wieder nach hinten verschobene Produktionsstart des Model 3, dessen Fertigung bis jetzt himmelweit hinter den selbererstellten Prognosen zurück blieb (anstatt tausenden maschinell gefertigten Stück, kamen bis jetzt lediglich ein paar Hundert von Hand zusammengebaute zustande), brachten Tesla Motors in die Kritik. Die Aktienkurse purzelten in die Tiefe, der Verlust im letzten Quartal war höher als je zuvor.

Musk musste die Dosis also kräftig erhöhen, und scheut sich nicht, einen ehrgeizigen Zeitplan zu nennen: Wer den Semi jetzt bestellt, bekommt ihn bereits 2019. Und da laut seinen Aussagen herkömmliche Lkw im Betrieb pro Kilometer um 20 Prozent teurer sind, würde sich ein Fuhrunternehmer im Jahr 200.000 Dollar sparen.

Musks Ankündigungen sind dieses Mal aber besonders riskant: Die Fernverkehrs-Branche unterscheidet sich gewaltig von Pkw-Markt. Hier muss jedes Fahrzeug Geld verdienen, die Kunden haben an den Fahrzeughersteller ganz andere, deutlich härtere Anforderungen. Verzögerte Auslieferungen kommt für keinen vernünftig denkenden Unternehmer in Frage, die auch nicht nur ein Exemplar, sondern gleich eine gesamte Flotte bestellen. Ein Drama, wie es Tesla mit dem Model 3 durchmacht, darf sich hier also nicht wiederholen.