Es war das schrägste Spektakel des Jahres: Die besten Motorradfahrer der Welt duellierten sich bei der MotoGP auf dem Red-Bull-Ring. Mit Schräglagen, die Grenzen der Physik auszuhebeln scheinen. Die MotoGP steht für den martialischen Kampf Mann-gegen-Mann genauso wie für intensiven Hightech-Einsatz. Es geht um die pure Lust am Motorrad. Dessen Mobilitätsansatz befindet sich aber genauso im Umbruch wie beim Auto.

Die nächsten Jahre werden massive Veränderungen mit sich bringen. Mietbare Elektro-Roller werden in den Ballungszentren genauso selbstverständlich sein wie Helme, die Gefahrenmeldungen auf Straßen projizieren oder ein elektronischer Schutzkäfig, der den Motorradfahrer auf jeden Meter begleiten kann. Für uns haben Branchen-Experten - wie Stefan Pierer (KTM-Vorstand), Karl Viktor Schaller (Leiter Entwicklung BMW Motorrad) oder Honda-Mastermind Roland Berger - die Zukunft des Motorrades skizziert.

KTM-Boss Stefan Pierer
KTM-Boss Stefan Pierer © (c) APA/ERWIN SCHERIAU (ERWIN SCHERIAU)

Stefan Pierer har das KTM-Team für die MotoGP 2017 vorgestellt. Es ist ein weiterer, wichtiger strategischer Schritt im kommenden Jahr. „Die Krönung für uns. Da muss sich zeigen, wo du stehst. Ready to Race ist unser Motto. Der Rennsport ist und bleibt treibender Faktor für uns.“ Genauso wie die Sicherheit. „Der Motorradfahrer ist verwundbar. Wenn man die Unfälle analysiert, kann in 50 Prozent der Fälle der Motorradfahrer nichts dafür. Das Motorrad ist so schnell geworden, dass es eine älter werdende Autofahrergeneration oft nur schwer realisieren kann. Die kommende Digitalisierung ist in diesem Bereich ein immenser Sicherheitsbeitrag - die Fahrzeuge werden miteinander kommunizieren und sich gegenseitig warnen. Es wird so etwas wie ein virtueller Airbag im nächsten Jahrzehnt kommen, der Motorradfahren sicherer macht.“

Karl Viktor Schaller, Leiter der Entwicklung von BMW Motorrad, spricht von einem „elektronischen Schutzkäfig“, der zukünftig das Motorrad umgeben werde. Das Motorrad wisse dann, wo das Auto fährt, das demnächst auf meine Straße einbiegt; was rundherum passiert und ob andere Verkehrsteilnehmer das Motorrad wahrnehmen oder eine Warnung notwendig ist.

„Wenn Sie mit dem Motorrad über eine Kuppe fahren, und dahinter wendet ein Traktor, dann werden Sie in Zukunft über Daten und spezielle Fahralgorithmen das schon wissen und informiert - weil ein anderer, der zum Beispiel früher an der Stelle war, schon scharf gebremst hat. Sie werden zuerst die Info erhalten, und wenn Sie nicht reagieren, könnte ein Brems-/Stabilisierungsvorgang folgen.“

BMW entwickelt einen Helm mit Head-up-Display
BMW entwickelt einen Helm mit Head-up-Display © BMW

Diese hochkomplexe Umgebungserfassung bedingt eine Datensammlung über Dutzende Ebenen (zwischen Fahrzeugen, von Straßensensoren, Verkehrsfunk, Unfallmeldungen etc.). Längst haben sich BMW, Honda und Yamaha zusammengeschlossen, um eine Vernetzungsplattform - damit Fahrzeuge untereinander kommunizieren können etc. - aufzubauen. Wann der Einbau solcher Systeme real wird? „Vor neun Jahren hat Apple sein erstes iPhone vorgestellt. Vieles, was heute möglich ist, hätten wir nicht geglaubt. In neun Jahren schaut auch die Welt der Mobilität ganz anders aus.“

Roland Berger ist das Honda-Urgestein der heimischen Motorrad-Szene und international anerkannter Fachmann. Er war gerade in Japan, wo er einen Honda-Brennstoffzellenroller getestet hat, samt Head-up-Display im Windschild. Das heißt, auf das Windschild werden fahrrelevante Daten eingespielt. Das System warnt sogar vor Autofahrern, die sich von hinten und zum Beispiel zu rasch nähern, wodurch es zu einer Kollision kommen könnte.

Karl Viktor Schaller, Leiter der Entwicklung bei BMW Motorrad
Karl Viktor Schaller, Leiter der Entwicklung bei BMW Motorrad © BMW

Als Rennsportliebhaber betont Berger den direkten Techniktransfer aus der MotoGP: „Wir bekommen 2017 ein Honda-Supersportmotorrad für die Straße, das die gleiche Elektronik erhält, die es 2015 bei der MotoGP gegeben hat. Oder wir haben in der MotoGP noch besser zu verstehen gelernt, wie flexibel der Rahmen für einen besseren Reifenhalt sein muss. Oder beim Verbrauch . . .“

Die neuen Sicherheitsfeatures und Warneinrichtungen werden in den Motorrädern kommen - davon ist auch Berger überzeugt. Mit kolportierten Fahreingriffen durch Sicherheitssysteme kann er sich nicht anfreunden „Bei voller Schräglage braucht das keiner“, raunt er.

Karl Viktor Schaller spricht daher auch von „Warnungen“, die eingespielt werden. Über holografische Systeme etwa, die solche Warnungen auf die Straße projizieren; auch die Kleidung werde bei den Warnhinweisen miteinbezogen. Darauf montierte LED-Blitze könnten andere Verkehrsteilnehmer auf brenzlige Situationen aufmerksam machen. Oder man könne Fahrer über Vibrationen am Motorrad dazu bringen, vom Gas zu gehen.

Roland Berger, Honda
Roland Berger, Honda © HONDA

Und der Motorradantrieb der Zukunft? Für Berger bleibt der E-Antrieb eher bei den Stadtgefährten. Er glaubt sogar, dass sich der E-Antrieb für Räder stärker durchsetzen werde. Stefan Pierer bringt noch einen Punkt ins Spiel: „So lange sich die Kilowattstunde nicht Richtung 100 Dollar bewegt, ist das beim Motorradpreis nicht darstellbar.“ Schaller glaubt langfristig an die E-Mobilität im urbanen Bereich. Franz Laimböck, selbst ehemaliger Rennfahrer und Techniker: „Die Batterien und die Infrastruktur müssen viel besser werden. Die heutige Motorrad-Technologie ist zwar schlichtweg einzigartig. Aber man kommt beim Verbrennungsmotor auch langsam an die Grenze des Machbaren.“

Und das alte System des Besitzens erhält auch bei den Motorrädern Risse. Es gibt nicht nur Carsharing: In Berlin testet etwa Bosch die Vermietung von E-Rollern - drei Euro für die erste halbe Stunde, danach ein Euro für je zehn Minuten. Und Bosch ist nicht der einzige Konzern, der dabei auch internationale Fantasien hat.